Es ist Mittwochmorgen in Büren, 9.30 Uhr, und gut 50 Sechstklässler des Liebfrauengymnasiums warten gespannt vor der Bühne im Foyer der Almeschule. Statt Mathe, Deutsch oder Biologieunterricht ist heute am Liebfrauengymnasium Theater angesagt. Nach anderthalb Jahren Unterricht unter Corona-Bedingungen Schule also mal ganz anders. Freundlicherweise ermöglichte die Stadt Büren die Nutzung des Foyers der Almschule und so konnten zwei Klassen bequem unter Corona-Bedingungen Platz nehmen.
Es geht um Jule, 14 Jahre. An ihrem Geburtstag, nachdem sie fast einen Nervenzusammenbruch wegen ihres ständig abstürzenden Handyakkus hat, bekommt sie ein neues Smartphone geschenkt. Jule ist selig vor Glück. Ihre Freundin Elli, die schon Smartphone-Profi ist, installiert ihr alle Apps, die „In“ sind. Jule beginnt schnell, sich in der Handywelt zu verlieren. Das neue Handy wird immer wichtiger, wichtiger als ein Gespräch mit ihrer Mutter, wichtiger als die Proben mit ihrer geliebten Band. Papa besuchen, wo es keinen Handyempfang gibt? Das kommt überhaupt nicht mehr in Frage. Mit Mama gemütlich auf dem Sofa einen Film schauen wird durch das ständige Klingeln des Handysignaltons unerträglich.
Es zeigen sich ganz neue Gefahren: Jule lernt einen Jungen online „kennen“, der Fotos von ihr geschickt haben möchte. Sie findet ihn, beziehungsweise sein Profil, süß. Elli warnt Jule, hinter dem Profil kann sich auch jemand ganz anderes verbergen. Und dann das Onlinespiel „The Other World“ - der Name ist bezeichnend. Es lockt mit seinem Wettbewerbscharakter und seinen Möglichkeiten, im Rollenspiel gemeinsam neue Welten zu erobern. Da haben die Mathehausaufgaben gar keine Chance mehr und auch die Bandproben sind völlig vergessen. Es kommt zum Zerwürfnis zwischen Jule und ihrer besten Freundin Elli. Ihr „Leben“ in „The Other World“ wird das Wichtigste für Jule, weder das Abendbrot noch die Geburtstagsfeier mit der Familie haben für sie noch irgendeine Bedeutung. Sie wird ihren wichtigsten Mitmenschen gegenüber immer aggressiver. Dann gerät sie auch noch in die Kostenfalle des Onlinespiels.
Die Abzocke und das große Suchtpotenzial der Onlinerollenspiele werden offensichtlich. Nun ist es klar, Jule wirdvöllig von ihrer Handysucht bestimmt. Ihre Eltern sind sehr besorgt und suchen einen Therapieplatz. Die Situation spitzt sich immer weiter zu, als sie die Kreditkarte der Mutter heimlich benutzt, um sich im Spiel weiter hochzukaufen. Nun wird Jules Wertesystem von dem Onlinespiel bestimmt.
Das wird auch den jungen Zuschauern klar und sie beobachten von außen Jules Weg in die Handysucht. Sie sehen betroffen, dass sich die Persönlichkeit der Jugendlichen stark verändert. Sie pflegt sich nicht mehr, sie trifft ihre Freundin nicht mehr, sie isst kaum noch und spricht nicht mehr mit ihrer Mutter - höchstens schreiend im Streit. Das reale Leben interessiert Jule nicht mehr, sie zeigt körperliche Reaktionen wie Unruhe und Zittern. Für sie gilt es nur noch, das nächste Level zu erreichen oder „Likes“ für die von ihr hochgeladenen Fotos zu bekommen.
Die Schüler konnten sich gut in das Leben von Jule hineinversetzen und verfolgten das Theaterstück gebannt. Dies war ganz besonders auf die tolle darstellerische Leistung zurückzuführen. Im anschließenden Gespräch noch im Theater und auch in der Schule zeigten sie ein großes persönliches Interesse an der Thematik. Es gibt viele Schüler und Schülerinnen, die auch Onlinespiele nutzen. Einige Schüler und Schülerinnen berichteten auch über familiäre Regelungen, die die Nutzung dieser Spiele zeitlich begrenzen oder auch nur am Wochenende erlauben. Gemeinsam mit den Schülern und Schülerinnen und Eltern gefundene Regelungen werden oft gut akzeptiert und helfen dabei, Konflikte zu reduzieren.
Aus den Gesprächen wurde aber auch deutlich, dass das reale Leben so viel mehr zu bieten hat: „Wir spielen ab und zu Rollenspiele online und dann spielen wir das draußen nach. Wir bauen uns ein Dorf aus Holz und anderem Material, das macht viel mehr Spaß als am Computer.“ „Ich habe gar nicht mehr so viel Zeit für die Onlinespiele, weil ich mich jetzt um ein Pferd kümmern darf, das ist viel schöner als am Computer zu sitzen.“ Solche Erlebnisse kann keine noch so gut gestaltete virtuelle Welt ersetzen.
Im Internet gibt es die Möglichkeit,sein Konsumverhalten im Selbsttest zu überprüfen. Bei Problemen könnensich die Schüler und Schülerinnen sowie die Eltern an die Beratungslehrer und -innen am LFG (reinking@lfg-bueren.de / welslau@lfg-bueren.de) und die Schulpsychologin Frau Müller(mueller@lfg-bueren.de) wenden oder auch anonym an die Caritas Suchtprävention Paderborn (https://www.caritas-pb.de/sucht-integration-hilfen/suchtberatung-praevention/suchtkrankenhilfe/suchtpraevention-und-gesundheitsfoerderung).
Die Lobby ist eine Beratungsstelle der Caritas speziell für Jugendliche (https://www.caritas-pb.de/sucht-integration-hilfen/suchtberatung-praevention/suchtkrankenhilfe/lobby-anlaufstelle-kinder-jugendliche-in-konfliktsituationen).
Claudia Reinking